Löwe / Sonne: Archetypus des göttlichen Kindes

Das Göttliche Kind wird am 25. Dezember geboren. Ernst Ott erläutert in diesem Artikel, dass nicht nur Steinböcke, sondern wir alle Sonnenkinder sind.

Warum Steinböcke Sonnen-Kinder sind


von Ernst Ott

 

Wir werden als Kinder geboren.  Neugeborene sind irgendwie  „ein Wunder“.  Aber göttlich?  Der Archetypus des göttlichen Kindes sagt, dass etwas in uns göttlich ist, jedenfalls über besondere Kräfte verfügt, und zwar von Geburt an.  Man könnte natürlich auch sagen, wir hätten einen göttlichen Funken in uns oder noch vorsichtiger ausgedrückt, das Potenzial, uns zu einem geistigen Wesen zu entwickeln, das höher strebt. Es gibt verschiedene Zugänge zum Göttlichen, über philosophisches Nachdenken, über Arbeit an sich selber, über Astrologie usw.

Aber der Archetypus des göttlichen Kindes sagt uns, dass wir in gewissem Sinne schon bei der Geburt fertig und in Ordnung sind. Wir sind von Anfang an geistige – vielleicht sogar göttliche - Wesen, wir müssen nicht erst als solche gebacken werden. Wir sind Sonnen mit Strahlkraft und schöpferischer Potenz. Das ist wie ein von Anfang an vorhandenes Geschenk.


Gott kommt als Kind auf die Welt.

In Religion und Mythologie gibt es immer wieder Licht- und Sonnengötter. Die meisten von ihnen sind jedoch nicht einfach da, sondern werden als Kinder geboren. Ihre erste Erscheinungsform ist die des göttlichen Kindes.  Es ist ein schöner Gedanke, der in den meisten Kulturen auftaucht, das Göttliche als unschuldiges Kind darzustellen. Als ein Wesen, das nicht deshalb wertvoll ist, weil es etwas leistet, etwas richtig macht oder „gut“ ist, sondern, weil es ist, weil es lebt, allein dadurch ist es göttlich.

Licht- und Sonnengötter gehören in der Symbolsprache des Horoskops eindeutig zum fünften Buchstaben des astrologischen Alphabets, nämlich zur Symbolkette Sonne, fünftes Haus, Tierkreiszeichen Löwe. Symbolisch gesehen sind Lichtgötter also Löwen.


Der 25. Dezember

Lichtgötter kommen fast durchs Band am 25. Dezember auf die Welt, also in der Steinbock-Zeit, weil der Steinbock die dunkle Jahreszeit repräsentiert.  Sonnengötter werden nämlich nicht auf dem Berg der Erleuchtung geboren, nicht in der Löwezeit, wenn in den Sommerferien die Sonne vom Himmel strahlt, nicht an einem sonnigen Ort, sondern in einem dunklen Loch, einem Stall, meist in einer Höhle.  Und eben in der Steinbock-Phase des Jahres.  Einerseits ist das ein Paradox: Im Dunkeln wird  das Licht geboren. Aber Lichtgötter sind eben nicht einfach hell, sondern sie steigen zum Licht hinauf, und das tut die Sonne ab der Wintersonnenwende.  Da liegt der astrologische Analogieschluss nahe: So wie die Sonne ab Weihnachten immer höher steigt, so steigt der Lichtgott vom Dunkeln ins Helle hinauf. 

Die in der Löwe-Zeit im Hochsommer voll entfalteten Sonnenkräfte werden also bei der Wintersonnenwende geboren. Kann man daher sagen, die Sonne oder der Sonnengott „ist ein Steinbock“? Nun, Archetypen und Götter sind keine Menschen, bei deren Geburt ein Hebamme auf die Uhr schaut und die Zeit notiert, Götter sind ja irgendwie ewig. Auch wenn von ihrer Geburt die Rede ist, so leben sie doch jenseits der Zeit. Doch auf der Erde ist die Steinbock-Zeit die Wiege der Sonnenkraft.


Der Sohn der Allmutter

Einer der ältesten Sonnengötter ist Horus, Sohn der ägyptischen Götter Isis und Osiris, die schon Jahrtausende vor Christus verehrt wurden. In Ägypten war der 25. Dezember ein Feiertag, weil er als Geburtstag des Horus galt.  Isis brachte den Sonnengott in der dunkelsten Nacht des Jahres auf die Welt.  Darstellungen der Isis mit dem Horusknaben auf dem Schoss waren überall in der alten Welt bekannt, auch bei den Römern. Bilder der Isis als Mondgöttin inspirierten später auch christliche Künstler, wenn sie Maria mit dem Jesusknaben und der Mondsichel darstellten.

Die hier unten abgebildete Skulptur des Horus als schon etwas älteres Kind, gab Kaiser Hadrian im zweiten Jahrhundert n.Chr. bei einem offensichtlich sehr begabten Künstler in Auftrag:




Hadrian stellte sie in seiner Villa in Tivoli auf, und ich finde sie hat eine starke Ausstrahlung: Ein naives Kind mit dem Zeigefinger am Mund staunend, neugierig, unerfahren und doch voll Majestät und göttlicher Ausstrahlung. Dem Künstler ist es gelungen, aus dem kostbaren Marmor einen realistischen und ausdrucksstarken Kindgott zu gestalten. Der Knabe ist überlebensgroß dargestellt und berührt den Betrachter. Heute kann man ihn in den Museen auf dem Kapitol in Rom bewundern.  Wer sich auf ihn einlässt, dem öffnet er eine Tür im eigenen Herzen, dort wo etwas unverbraucht Kindliches in uns wohnt, das gleichzeitig Quelle größter Weisheit ist. 

Laut den mythologischen Aussagen ist Horus bei der Wintersonnenwende auf die Welt gekommen. Wenn er ein Mensch wäre, hätte er somit ein Horoskop mit Steinbock-Sonne.


Die  unbesiegbare Sonne

Der römische Sonnengott trägt den Titel „Sol invictus“, was unbesiegte Sonne bedeutet, ein sehr dramatischer Ausdruck für die einfache Tatsache, dass die Sonne zwar jedes Jahr vom Krebs bis zum Steinbock absteigt, aber nie „besiegt“ wird, sondern gesetzmäßig immer wieder aufsteigt. Auch im Tagesrhythmus steigt sie jeden Morgen neu auf.  Der Festtag des Sol invictus war natürlich der 25. Dezember, auf den damals auch die Wintersonnenwende fiel.  Alle Welt feierte die Geburt der Sonne. Sein Tempel wurde an einem 25. Dezember geweiht. Im Jahr 274 n.Chr. ordnete Kaiser Aurelian an, den 25. Dezember als Geburtstag des Gottes Sol invictus reichsweit als Feiertag zu begehen. Das war die Erfindung des "Sonntags", das heißt eines regulären wöchentlichen Ruhetages, den es davor nicht gab.

Zwar stimmte vor der gregorianischen Kalenderreform die Tageszählung nicht genau mit der Wintersonnwende überein. Der kalendarische 25. Dezember steht jedoch in all diesen Traditionen symbolisch für die Wintersonnenwende, unabhängig davon, wie die Kalenderverschiebungen sich entwickelt haben. Mythologisch gesehen heißt „25. Dezember“ einfach „Längste Nacht“.


Die Felsgeburt des Mithras

Von der Zeitenwende bis etwa zum Jahr 400 n.Chr. war der so genannte Mithras-Kult über das ganze damalige römische Reich verbreitet. Dabei wurden die Mitglieder über sieben Stufen nach den sieben Planeten eingeweiht, und auch sonst war diese Religion oder Lebensphilosophie ganz und gar von Astrologie durchdrungen.  Hauptfigur war der Held Mithras, der als Freund des Sonnengottes für den sicheren Ab- und Aufstieg der Sonne sorgt, was auch symbolisch gedeutet wurde, indem die Mithras-Anhänger über den Auf- und Abstieg der menschlichen Seele vom Himmel zur Erde nachdachten. Gemäß dem platonischen Weltbild glaubten sie, dass wir vom Himmel kommen und am Ende des Lebens wieder zum Sternenhimmel zurückkehren. So betrieben sie mit ihren Ritualen und Einweihungen auch eine Art geistiger Todesvorbereitung.

An einem 25. Dezember wurde das Sonnenkind Mithras geboren, und zwar in einer dunklen Felsenhöhle. Die ersten Menschen, die ihn begrüßten, waren einfache Leute, nämlich die Hirten auf dem Felde.  In Mithras begegnen wir schon wieder einem Lichtbringer, der im Winter geboren wurde, und ähnlich wie ein Mensch auf dieser dunklen Erde inkarnierte, um uns auf unserem Weg zum Licht zu unterstützen. Der geistige Weg in den Mysterienkulten wurde stets als ein symbolischer Aufstieg zum Himmel verstanden, so dass sich der Vergleich mit der ab dem 25. Dezember aufsteigenden Sonne geradezu aufdrängte.


Die neue Sonne der Gerechtigkeit

Christus wurde aufgrund eines Prophetenwortes („Euch aber wird aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit“ Maleachi Kapitel 3)  schon früh als „Sonne der Gerechtigkeit“ oder als „die neue Sonne“ bezeichnet.  Auch er ist ein Lichtbringer, der das Dunkel, vielleicht sogar den Tod überwinden hilft.

Die ältesten Darstellungen des Christus zeigen meist diesen solaren Aspekt. In den vatikanischen Nekropolen fand man in der Julier-Gruft den hier abgebildeten Christus aus dem dritten Jahrhundert. Er trägt einen Strahlenkranz genau wie in den klassischen Darstellungen des römischen Sonnengottes Sol.  Sogar den Wagen mit den Sonnenpferden hat er von Sol invictus übernommen. (Siehe Abbildung am Ende dieses Artikels.)

Aus mythologischer Sicht müsste er eigentlich an einem 25. Dezember auf die Welt gekommen sein.  War Jesus ein Steinbock?  Nein.
Das ist merkwürdig, denn dies hätte doch sehr gut zu seiner Aufgabe auf dieser Welt gepasst.  Jesus war ein wirklicher historischer Mensch, und man hätte auf die Uhr schauen und ein genaues Geburtshoroskop berechnen können. Aber die damaligen Juden hielten nicht viel von Astrologie. Menschen in den Provinzen, solange sie nicht römisches Bürgerrecht besaßen, kannten ohnehin kaum ihr Geburtsjahr, von Tag und Stunde gar nicht zu reden.

Die Christen in den ersten drei Jahrhunderten interessierten sich zudem extrem wenig für die Biografie Jesu, es ging ihnen ausschließlich um seine Lehre. Sie erwarteten den sofortigen Anbruch eines neuen Zeitalters, in welchem alles Bisherige belanglos würde.  Die Evangelien, die wir heute als eine Art Lebensgeschichte Jesu lesen, sind keine faktisch korrekten Berichte, sondern erzählten nur all jene Szenen und symbolhaften Geschehnisse, welche die theologische Aussage des Christentums illustrierten. Evangelium heißt „gute Nachricht“, es ging also um die frohe Botschaft eines neuen Zeitgeistes, nicht um die individuelle Persönlichkeit des Religionsstifters.


Christus ohne Geburtsdaten

Man kennt schlicht keine Geburtsdaten Jesu. Noch am ehesten kennt man den Geburtsort. Er wurde mit hoher Sicherheit in der Stadt Nazareth in Galiläa geboren. Der Geburtsort der Evangelisten, Bethlehem, ist nicht historisch-biografisch wahr, sondern symbolisch, was für die Juden und Christen damals weit bedeutender war, denn laut den Propheten musste der Messias aus der Stadt Davids kommen, eben aus Bethlehem. Wissenschaftler sehen das anders, aber symbolische Sinnzusammenhänge haben weit mehr Energie als so genannte Tatsachen.

Noch eine Anmerkung zum weihnachtlichen „Stall zu Bethlehem“: Die Ställe in Palästina waren Höhlen, in welchen die Hirten ihre Herden unterstellten, so dass hier eine wörtliche Parallele zur Fels- oder Höhlengeburt des Mithras zu erkennen ist.

Was den Zeitpunkt der Geburt betrifft, tappen wir völlig im Dunkeln. Man kennt nicht einmal das Geburtsjahr. Viele Forscher tendieren zum Jahr 7 / 6 v.Chr., wofür auch Johannes Keplers Vermutung über den Weihnachtsstern als Jupiter-Saturn-Konjunktion spräche.  Doch alle Angaben in den Evangelien widersprechen sich. Sie entstanden etwa hundert Jahre nach Jesu Geburt und unterschieden nicht zwischen Legende und Tatsache. Wenn man sich wirklich streng an die historischen Quellen hält, kann man es wie folgt eingrenzen: Geboren spätestens im Jahr 4 n.Ch. gekreuzigt zwischen 26 und 36 n. Chr.

In einigen wenigen christlichen Berichten und Briefen wurden in den ersten Jahrhunderten vermutete Geburtsmonate Jesu notiert, März, April, Mai, November kommen vor; der Dezember ist nicht dabei. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass sich die Christen 500 Jahre lang nicht ernsthaft für den Geburtstag des Menschen Jesus interessierten.


1500 Jahre Weihnachten

Erst ein halbes Jahrtausend nach Christi Geburt entstand das Bedürfnis, neben Ostern und anderen christlichen Feiertagen auch einen Tag für die Geburt Jesu im Festkalender zu haben. Die Weihnachtsidee war geboren, setzte sich jedoch nur sehr langsam durch. Zum allerersten Mal – nach aktuellem Forschungsstand – ist 453 n Chr. ein christlicher Weihnachtsfeiertag bezeugt. Dann vergehen fünfzig Jahre, die nächste Erwähnung besitzen wir aus dem Jahr 506 n. Chr. Es ging damals nicht um ein historisches Geburtsdatum, sondern um einen mit Gottesdienst zu feiernden Gedenktag, der an die Vorgänge um die Geburt Christi erinnerte. Da die Evangelien und das gesamte neue Testament keine einzige Zeitangabe darüber machen, war man frei, einen beliebigen passenden Tag zu wählen.

Wundert es, dass man auf den 25. Dezember kam? Es gibt symbolisch gesehen kaum eine stimmigere Entscheidung in der Kirchengeschichte. Auch wäre schwer ein anderes Datum durchzusetzen gewesen, denn im Osten wie im Westen erinnerte sich noch jeder an den Geburtstag des Sol invictus und feierte verschiedene Feste des aufsteigenden Lichts. Kaiser Konstantin, der machtvoll die christliche Staatsreligion durchsetze, hatte selbst an manchem 25. Dezember staatliche Feiertage gewährt, aus ganz unterschiedlichen Anlässen.  Der Tag war beliebt.

So feiern wir bis heute am 25. Dezember in bewährter Form die Geburt des göttlichen Kindes.  Selbst Menschen, die sich von den Kirchen entfernt haben, freuen sich, dass es ein „Fest der Kinder“ gibt.  Gut, dass das Christentum nicht mit dieser Tradition gebrochen hat, denn sie ist zutiefst menschlich: Im Dunkeln beginnt der Aufstieg zum Licht, im Sterben die Neugeburt. Das Wunder einer Geburt, das Leuchten in Kinderaugen sind passende Gleichnisse für das Spirituelle oder das Göttliche in jedem Geschöpf.

 


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