Steinbock: Die Wintersonnenwende als Symbol.

Ernst Ott über das astrologische Sonnen-Prinzip, dargestellt an der spannenden Legende der Lucia von Syrakus. Lucia heißt "die Lichtvolle" und ist die Heilige der Wintersonnwende. Das Bild zeigt Mädchen am Luciafest in Schweden.

Die Wendung zum Besseren kommt von oben.

In jedem Menschenleben gibt es Phasen von Nacht und Winterkälte. Dann hoffen wir auf Licht und Wärme. Die Wintersonnenwende ist nicht nur in der Astrologie ein Gleichnis für den Wiederaufstieg der Lebenssonne nach Dunkelheit und Leid.

Wenn es mit uns einmal abwärts geht und wir uns „ganz unten“ fühlen, so hoffen wir auf Hilfe. Man hat uns nun im Verlauf des Patriarchats beigebracht, dass wir dann auf einen Retter hoffen sollen, einen Führer, eine Autorität, welche die Stärke hat, uns mit machtvollen Entscheidungen herauszureißen und uns wieder nach oben zu bringen. Solange wir dies hoffen, bleiben wir allerdings in einer Opferhaltung. Wir warten auf Rettung von außen. Kommt sie, so sind wir erlöst, doch andernfalls wäre es gut, auf uns selbst zu vertrauen. Aus astrologischer Sicht bedeutet dies, auf die Sonne zu vertrauen.

Das Sonnensymbol ist einerseits ein Hinweis auf Lösungen, die „von oben aus dem Himmel“ kommen als eine Art spiritueller Geschenke. Gleichzeitig steht Sonne aber auch für etwas in uns, das zur Selbst-Rettung fähig ist.   Wir könnten unsere eigene innere Sonne stärken, anstatt das Sonnenprinzip hoffend auf Vater- und Autoritätsfiguren zu projizieren.

Die Sonne ist unser inneres Licht

Astrologie beschreibt die Himmelskörper als Anzeiger für innere Kräfte in jedem Menschen. Wenn es in unserem Leben Winter wird, so dass für einige Zeit die Schattenkräfte dominieren und unsere Sonne kurz davor steht, sich zu verfinstern, dann ist dies in uns geschehen. Und genauso ist das erneute Stärkerwerden der Sonne ein innerer Vorgang. Wir brauchen dazu keine äußeren Retter.

Es ist kein Zufall, wenn die Tage im Herbst kürzer und ab der Steinbock-Zeit gesetzmäßig wieder länger werden. Zwar sagt unser Gefühl in mancher Lebensnacht: Das dauert ja ewig, es geht gar nicht mehr aufwärts. Dennoch wirkt im Wechsel von Licht und Schatten ein Urgesetz, das älter ist als unser individuelles Leid. Wenn die Sonne in unserem Horoskop ein Gleichnis für die Lebenskraft im Menschen ist, so können wir die Wintersonnenwende als eine Metapher für die Selbst-Regenerationskraft nehmen, die im Menschen ruht. Ihr Vorhandensein setzt keinen Willensakt voraus und ist auch nicht von äußeren Rettern abhängig. Sie wächst naturhaft in uns - wenn wir dies zulassen.

Projektionsgestalten

Lucia von Syrakus ist jene Gestalt im Heiligenkalender, die für die Erlösung durch die Wintersonnenwende steht. Ihr Fest am 13. Dezember fiel früher nach dem julianischen Kalender auf null Grad Steinbock. In der Fassung der kirchlichen Heiligenvita ist es allerdings keine sehr fröhliche Geschichte. Lucia war demnach ihr ganzes kurzes Leben lang damit beschäftigt, ihre Sonne auf männliche Gestalten in der Außenwelt zu projizieren.

So wird die Legende erzählt: Lucia lebte um 300 n. Chr. und verlor früh ihren Vater. Daraufhin entschied ihre Mutter, dass man ihr bald einen Gatten suchen müsse, damit wieder ein Mann im Hause sei. Lucia wurde verlobt, doch sie verweigerte die Heirat, denn sie wollte Christus dienen, „der Sonne der Gerechtigkeit“ und zu diesem Zweck ihre Jungfräulichkeit bewahren. Ihr Verlobter zeigte sie an, worauf die römische Staatsmacht Lucia während der diokletianischen Christenverfolgungen zum Tode verurteilte. Dadurch erlangte sie die Märtyrerpalme und wurde zur Santa Lucia.

Es treten in dieser Heiligenlegende vier Sonne-Projektionsfiguren auf: Der Vater, der Gatte, die Staatsmacht und Gott. Lucia hatte sich dabei statt eines Mannes für Christus als spirituelle Vaterfigur entschieden, was natürlich ihr gutes Recht war. Dennoch ist es für heutige Menschen eine traurige Geschichte, nicht nur wegen der Todesstrafe, sondern auch wegen der kirchlichen Vorstellung, dass Christus an der Unterdrückung des Sexualtriebes Wohlgefallen fände.

Astrologische Umdeutung

Es gibt zwei gute Gründe, diese Heiligenlegende astrologisch zu deuten, beziehungsweise die hinter ihr versteckten astrologischen Bezüge freizulegen.

Der erste ist die Tatsache, dass es kein historisches Original gibt, das verfälscht werden könnte: Lucias Grabinschrift in Syrakus entstand erst hundert Jahre nach ihrem Tod, die ersten Biografien weitere hundert Jahre später. Es gibt also keine einzige Quelle aus der Lebenszeit Lucias. Wir haben es mit einer reinen Legende über eine vermutlich historische Persönlichkeit zu tun.

Der zweite Grund für den Einbezug der Astrologie: Damals waren die astrologischen Symbole Teil des Bildungskanons und allgemein bekannt. Die christlichen Legendenschreiber bedienten sich der Astrologie und der damit verbundenen „heidnischen“ Feste, um an den Vorstellungen der Zeitgenossen anzuknüpfen. Mit dem Namen Lucia, die Lichtvolle, abgeleitet von lux, dem lateinischen Wort für Licht, sowie mit ihrem Gedenktag an der Wintersonnenwende war die Botschaft verbunden: Lucia führt zum Licht, zur wieder geborenen Sonne. Ungefähr zur Entstehungszeit der Legende begingen Christen auch zum ersten Mal das Weihnachtsfest am Tag der unbesiegten Sonne, der schon seit tausend Jahren im Isiskult und im Römerreich das Fest der Sonnen-Geburt war.  

Als dann für die Kirche das Märtyrertum wichtig wurde, begann man Lucias Tod neu zu erzählen. Während die historische Lucia als römische Bürgerin mit dem Schwert hingerichtet wurde, hieß es nun zusätzlich: Man hat ihr zuvor die Augen ausgestochen oder sie hat Christus ihre Augen geopfert.

Oft wird die etwas makabere Szene dargestellt, wie sie ihre zwei Augen in einer Opferschale präsentiert. Dabei muss man sich bei einem solchen Gemälde vorstellen, dass die Heilige dann bereits gestorben ist und als Erscheinung aus der geistigen Welt heraus nochmals die Zeichen ihres Martyriums herzeigt.

Die strahlenden Augen auf diesem Bild des Renaissance-Malers Beccafumi, das Licht der Sonne, das Sehen der Wahrheit – all das waren damals noch jedermann verständliche Bilder für eine Sonnengöttin oder eine Frau, welche die Wiedergeburt des Lichtes symbolisiert.

Lucia, das Sonnenkind


Man kann die Geschichte nämlich auch anders erzählen – ohne dabei gläubige Christen vor den Kopf zu stoßen: Lucia hat einfach lebenslang Kraft und Selbstvertrauen aus sich selber geholt! Als man ihr sagte: „Ohne Vater bist du nichts, du brauchst jetzt einen Gatten“, konnte sie das nicht so sehen. Wer immer an ihrer Seite war und ihr Brot oder Sicherheit gab, er änderte nichts an dem Licht, dass Lucia in sich trug. Ihre eigene Sonne leuchtete. Sie wusste wohl auch, dass dieser Glanz von oben kam, von einem spirituellen Urfeuer. Vielleicht nannte sie dieses Gott oder Christus.

Als man ihr in Lebenskrisen, bei Verlusten und als sie verfolgt wurde, suggerieren wollte, dass es immer schlimmer werde, dass sie endgültig untergehen würde, so glaubte sie das nicht. Sie orientierte sich am Lauf der Sonne: Ja, im Herbst wird ihr Licht immer weniger, aber das Leben im Kosmos stirbt nicht. Der Aufstieg folgt gesetzmäßig.  Vielleicht gab das der jungen Frau ein großes Vertrauen, so dass sie zum Vorbild wurde. Gewiss wurde ihr auch bewusst, dass es nach dem Tod auf anderer Ebene einen Neuanfang gibt. Daher lebte sie mit weniger Angst als andere. Sie konnte es sich leisten, Gehorsam und Anpassung zu verweigern, wenn es wider ihre Natur war. So wurde sie zur Leitfigur, zu Lucia, der Leuchtenden. Auf dem obigen Gemälde von Beccafumi trägt sie ein Kleid in den goldenen Farben der Sonne. Auch die Augen, die sie präsentiert, könnte man jetzt anders deuten: Ich habe den Sonnenlauf beobachtet, ich habe die Wahrheit der Natur und des Universums gesehen – daher leuchten auch meine Augen. Sicher hatte Lucia eine starke Ausstrahlung.

Vertrauen in die Sonne und den Rhythmus des Lebens

Alles Gute kommt von oben, daher zeigt Lucia zum Himmel. In einem anderen Gemälde, das Lorenzo Lotto 1532 schuf, ist ihre Geste das Zentrum des Geschehens: Dargestellt ist die Gerichtsverhandlung, die zu Lucias Hinrichtung führte, nach der Tradition an einem 13. Dezember, welcher damals mit dem tiefsten Sonnenstand zusammenfiel.



Lucia steht auf dem Gemälde in einem prachtvollen Renaissance-Kostüm in Sonnengold. Jeder sieht sofort:  Sie lässt sich während der Verhandlung von keiner Macht einschüchtern. Der Prätor, ihr Richter, stößt machtvoll einen Stab gegen sie, möchte sie zur Heirat zwingen oder zum Rücktritt von ihrem christlichen Glauben. Doch sie bleibt standhaft. Das rote Gewand der Prätors symbolisiert die rohe Gewalt des Mars-Prinzips, aber Lucia trägt die Farben der erleuchteten Sonne.  Von rechts wollen die Männer sie wegzerren und ihrer Strafe zuführen. Nach der Legende lautet der Richterspruch auf Zwangsdienst in einem Bordell als Prostituierte. Doch die stärksten Männer, zuletzt sogar ein Ochsengespann hätten es nicht geschafft, die Verurteilte vom Fleck zu bewegen. Sie blieb bis zu ihrem Tod felsenfest stehen. Der Maler hat diese Situation mit unvergleichlicher Klarheit festgehalten. Lucia – völlig angstfrei – steht wie eine Sonne da und zeigt hinauf zur ewigen Sonne, die von keiner Macht zerstört werden kann. Sie hat alle gegen sich, nur das Kind im Vordergrund drängt in ihre Nähe und überzeugt wohl auch seine afrikanische Kinderfrau, dass von Lucia Gutes ausgeht.   

Die Weihnachtsbotschaft

Das ist die Botschaft der Zeitqualität bei null Grad Steinbock: Die Wendung zum Besseren kommt von oben und sie kommt sicher: Keine irdische Macht kann ab jetzt die Wiedergeburt und den Aufstieg der Sonne aufhalten – obwohl die Sonne an Weihnachten noch ein kleines Kind ist, das erst wachsen muss.

Die römischen Zuschauer jenes spektakulären Prozesses verstanden Lucias Verweis nach oben sehr wohl. Die ganze antike Welt feierte ja jetzt das Fest des Sol invictus, der unbesiegten Sonne, das vor allem durch den astrologischen Mithras-Kult eine große philosophische Aufwertung erlangt hatte.

Die Christen aber sahen in Lucia eine Licht-Heilige, die am letzten Tag des Sonnen-Jahres ohne Angst starb im Vertrauen auf einen Aufstieg in den Himmel. Sie sahen diesen Tod und wussten, dass der Sonnenwend-Tag gleichzeitig der erste eines neuen Sonnenzyklus ist – auch für die Menschen die in dieser irdischen Welt bleiben.


Ich wünsche Ihnen einen guten Übergang durch dunkle Tage und dass das Vertrauen stets stärker bleibt als die Angst!

Ernst Ott




Bilder:
Oben: Prozession zum Luciafest in Schweden, Bild von Fredrik Magnusson - Lucia, CC BY 2.0, commons.wikimedia.org/w/index.php

Domenico di Pace Beccafumi, Santa Lucia, 1521, Öl auf Leinwand, Pinacoteca Nazionale di Siena.

Lorenzo Lotto, Santa Lucia vor dem Richter, 1532, Öl auf Leinwand, Pinacoteca di Jesi.


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