Neujahr: Steinbock-Symbolik

Wenn wir nicht aufpassen, droht Silvesterrausch und Neujahrskater. Aber sonst ist der Übergang vom 31. Dezember zum 1. Januar nicht besonders gefährlich. Doch in unserer Psyche, meist nur halb bewusst, erinnert die Schwelle zwischen zwei Jahren an die Schwelle zwischen Tod und Leben, ans Sterben und Geborenwerden. Diese beiden Mysterien sitzen uns tief in den Knochen.

Sowohl die Knochen als auch die Schwellen unterliegen astrologisch der Symbolik des Saturn, welcher auch als „Gott der Schwellen“ bezeichnet wird. Der kalendarische Jahresanfang ist zudem seit dem vierten Jahrhundert am 1. Januar, also im Zeichen des Saturn, im Steinbock. Beide Symbole stehen auch für den steten Wandel der Zeit. Es hat also seine Richtigkeit, wenn unsere Psyche jetzt geneigt ist, sich mit Ängsten, Hoffnungen und Fragen an die Zukunft zu befassen.

In welchem Geist wollen wir das neue Jahr beginnen? Mit Blick auf die höheren Kräfte! Das meint zumindest Eduard Mörike (1804 – 1875) in seinem bekannten Gedicht „Zum neuen Jahr“ und ruft Gott an, der für ihn Ursache und Beweger des Weltalls ist:

In ihm sei’s begonnen,
der Monde und Sonnen
an blauen Gezelten
des Himmels bewegt….
… dir in die Hände
sei Anfang und Ende,
sei alles gelegt!“

Tatsächlich liegen Anfang und Ende nicht in unserer Hand, so dass wir uns dabei nur einfach dem Leben hingeben können; die einzige Wahl, die wir in dieser Frage haben, besteht darin, ob wir das angstvoll oder vertrauensvoll tun wollen.

Interessanterweise wünschen sich die meisten Menschen zu Neujahr Gesundheit, vielleicht aus dem Gefühl heraus, dass auch diese ein Geschenk ist, das man nur wünschen aber nicht immer herbeizwingen kann.

Kaum jemand wünscht sich das, was wir selber im Griff haben, z.B. fleißig zu sein, sein Leben aktiv zu gestalten usw. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Gute Wünsche und den Segen von oben brauchen wir in jenen Bereichen, die nicht ausschließlich dem freien Willen unterliegen und in denen etwas mitredet, was wir meist „Schicksal“ nennen.

Wir wünschen uns dabei nur Gutes. Kaum einer wünscht sich sowohl Tränen als auch Lachen, sowohl Schweres als auch Leichtes. Auch den Mitmenschen, die wir mögen, wünschen  wir nur das Beste.  Johann Peter Hebel (1760 – 1826) ist hier eine Ausnahme.

 

Hebel war nicht nur ein herausragender Dichter, sondern auch ein sehr aufgeklärter und weiser Geist. Astrologisch gesprochen wusste er, dass Saturn und Steinbock bedeuten, realistisch zu sein. Darüber zu jammern, dass wir nicht im Paradies leben, bringt nichts. Wir leben nun mal in der Welt der Polarität. Da sowohl Freude wie Leid Tatsachen sind, ist es besser, das nicht nur zu akzeptieren, sondern – wie der Philosoph Epiktet riet – es sich sogar zu wünschen!  Denn wenn unsere Wünsche im Einklang mit den kosmischen Gesetzen sind, dann fließt die Energie leichter.  Möglicherweise verdankt Hebel das Wissen darum seinem Aspekt zwischen Saturn und Sonne: Man kann in dieser Welt nicht nur Licht haben und den Schatten wegwünschen. Obwohl Hebel viel sinnliche Stier-Energie in sich trug und ein Genießer war, hatte er die geistige Größe, sich nicht nur Gutes zu wünschen.  Hier sein „Neujahrslied“, das mich immer wieder bewegt, wenn ich es lese. (Darunter sind ein paar Erklärungen für jene Wörter, die wir heute vielleicht nicht mehr spontan verstehen):

Mit der Freude zieht der Schmerz
traulich durch die Zeiten,
schwere Stürme, milde Weste,
bange Sorgen, frohe Feste
wandeln sich zur Seiten.

Und wo eine Träne fällt,
blüht auch eine Rose.
Schon gemischt, noch eh’ wir’s bitten,
ist für Thronen und für Hütten
Schmerz und Lust im Lose.

War`s nicht so im alten Jahr?
Wird`s im neuen enden?
Sonnen wallen auf und nieder,
Wolken geh´n und kommen wieder,
und kein Wunsch wird`s wenden.

Gebe denn, der über uns
wägt mit rechter Wage,
jedem Sinn für seine Freuden,
jedem Mut für seine Leiden
in die neuen Tage.

Jedem auf des Lebens Pfad
einen Freund zur Seite,
ein zufriedenes Gemüte,
und zu stiller Herzensgüte
Hoffnung ins Geleite.

Worterklärungen:
milde Weste = milde Westwinde
Thronen und Hütten = Reiche und Arme
im Lose = das "Schicksals-Los" ist der vom Kosmos angelegte Lebensablauf

 

Autor des Neujahrsartikels: Ernst Ott


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