Kosmische Zwillinge: Christo und Jeanne-Claude

Seit sie den Reichstag verhüllten, kennt jeder das Künstler-Ehepaar. Sie arbeiteten reibungslos zusammen und entschieden alles gemeinsam wie Zwillinge. Und sie waren im astrologischen Sinne zweifach Zwillinge.

von Ernst Ott

Fast gleiches Horoskop

Seit sie den Reichstag verhüllten, kennt jeder das Künstler-Ehepaar.  Sie arbeiteten reibungslos zusammen und entschieden alles gemeinsam wie Zwillinge.  Und sie waren im astrologischen Sinne zweifach Zwillinge.  Beide wurden im Juni mit einer Zwillinge-Sonne geboren, und zwar – obwohl viele hundert Kilometer voneinander entfernt – im gleichen  Jahr, am gleiche Tag und nur zwei Stunden auseinander, und zwar am 13. Juni 1935.  Ob es da ein Zufall war, dass der Bulgare Christo und die Marokkanerin Jeanne-Claude sich begegneten?

Gesucht und gefunden?

Als sie sich mir 23 Jahren in Paris kennen lernten, bestand eine große Kluft zwischen ihnen.  Jeanne-Claude Denat de Guillebon, Tochter eines angesehenen Generals, feierte sorglos in den höchsten Kreisen der Pariser Gesellschaft, während sich der mittellos aus dem Ostblock geflohene Christo Wladimirow Jawaschew kümmerlich über Wasser hielt, indem er Leuten Portraits malte.

Ihr Kennen lernen war gezeichnet vom astrologischen Zwillinge-Prinzip.  Es begann als eine Lernbeziehung. Jeanne-Claudes Mutter engagierte Christo, ihr Portrait zu malen. Die Tochter interessierte sich persönlich nicht für den Künstler, aber sie brachte ihm besseres Französisch bei, während er sie in Kunstgeschichte unterrichtete.  Man spielte das Zwillinge-Spiel von Frage und Antwort. 

Von der Liebe wollten sie vorerst nichts wissen, sondern testeten zuerst einmal je eine Alternative, auch das gehört zum Inventar des Zwillinge-Verhaltens. Christo verliebte sich in Jeanne-Claudes Schwester, während  sich mit einem anderen Freund verlobte. Auf merkwürdige Weise spielte das Leben hier mit dem archetypischen Zwillinge-Motiv einer doppelten Neigung zu zwei Schwestern.  Dieses Motiv kommt oft in der Literatur vor und ist auch Gegenstand der Mozart-Oper Così fan tutte, die übrigens auf einer wahren Begebenheit beruht.  Doch kaum war sie dem Anderen versprochen, funkte es zwischen Jeanne-Claude und Christo.  Die gesellschaftlich bedeutende Hochzeit mit dem andern Freund konnte nicht mehr abgesagt werden, doch da war sie bereits von Christo schwanger.  Kurz darauf war sie wieder geschieden und zu Christos Lebenspartnerin geworden, ohne Einverständnis der Eltern und ohne Geld.

Er hatte aus der Bewegung der Objektkünstler kommend schon vorher Alltagsgegenstände verhüllt und verfremdet, doch kaum Käufer dafür gefunden. Zusammen mit Jeanne-Claude, deren Organisationstalent ihm zu Hilfe kam, packte er nun die bekannten Großprojekte an, verhüllte Brücken, Wege, Strände, Inseln und Gebäude. Mit ungeheurem Aufwand wurde oft nur für ein paar Stunden eine neue Wahrnehmung des Bekannten inszeniert.

Die Geburtsdaten der beiden sind recht gut dokumentiert: Im marokkanischen Casablanca um 18.00 Uhr Weltzeit, und im bulgarischen Gabrovo, 20.00 Uhr Weltzeit.

Mithilfe eines kosmischen Zwillings und Ehepartners haben zwei unaspektierte Zwillinge-Sonnen ihre polare Ergänzung gefunden und einen guten Platz neben den andern Planeten-Talenten.  Das kreative Potential von Christos Sonne im fünften Haus, dem Bereich des schöpferischen Spiels begegnete der partnerbezogenen Sonne in Haus sieben von Jeanne-Claude.  Wir sehen hier, welch singuläre Kraft eine gut integrierte Sonne entfalten kann.

Verhüllen und verwandeln

Das Verhüllen kann man als eine Verschleierung sehen, die dem Neptun-Fische-Prinzip entspricht: Aus etwas Offensichtlichem wird ein Geheimnis gemacht, aus etwas Nützlichem wird durch Auflösung der äußeren Form eine verzaubernde Irritation.  Der dominante Neptun genau am Berufspunkt von Jeanne-Claude spricht da ebenso Bände, wie die umformende Kraft von Christos Neptun im achten Haus, dem Bereich des Gestaltwandels.

Wenn wir beim Thema des Verhüllens den Planeten Pluto assoziieren, den unsichtbaren Gott der Unterwelt, der stets mit Tarnkappe auftritt, finden wir auch hier reichliches Potenzial: Christos Pluto als Hauptplanet des Horoskops genau am Begegnungspunkt enthält das Potential, alles zu verwandeln, dem er begegnet.  Das gilt bestimmt nicht nur für die Ehe, sondern auch für die vielen Landschaften und Gebäude die Christo einem Gestaltwandel unterzog.

Saturn und Neptun

Der gemeinsame Aspekt des Realisten und Baumeisters Saturn mit dem Visionär und Träumer Neptun beschreibt das Lebenswerk dieses Künstlerpaares optimal: Vorhandene Materie wird optisch transzendiert.  Da wird eine Spannung inszeniert zwischen Form und Auflösung, zwischen Nützlichem und Poetischem, und vor allem zwischen Dauer und Vergänglichkeit.  Das Objekt bleibt, die Verhüllung verweht der Wind, und bald ist das Ganze nur noch als Erinnerung oder Fotoband vorhanden.

Christo mit seinem dominanten Pluto betonte immer wieder, dass er keine Skulpturen und Gegenstände hinterlassen wolle, dass seine Kunst sterblich sei, ein Prozess, ein bewusst vergängliches Werk.

Dieser Saturn-Neptun-Schlüsselaspekt (der auch dem Steinbock-Fische-Zusammenspiel entspricht, das in beiden Horoskopen vorkommt) führte zu einer Auseinandersetzung mit Zeit und Ewigkeit.  Der Aspekt steht bei Jeanne-Claude auf der Meridian-Achse, stellt also die Frage nach der Wirkung in der Welt.  Für sie persönlich war damit wohl auch ein Konflikt zwischen Privatleben und Beruf verbunden. Im Horoskop von Christo - weiter östlich und zwei Stunden später geboren - bezieht sich der Aspekt auf die Häuser zwei und acht, also auf die Auseinandersetzung mit Werten.  Die ständige Armut und Geldnot war die Entsprechung des Aspekts im Privatleben, doch die Frage nach dem persönlichen oder allgemeinen Wert von Welt und Wahrnehmung war seine künstlerische Botschaft.  Der gewohnte Pont Neuf musste sterben, damit die Pariser Bevölkerung für zwei Wochen eine andere Realität wahrnehmen konnte.

Das Lebenswerk dieser Künstler bestand einerseits aus reiner Neptun-Qualität: Wehende Schleier, vergängliche Fahnen, zerfließende Wahrnehmung.  Gleichzeitig war Saturn, der Planet der Geduld und der Zeit im Spiel: Konsequentes Verfolgen jahrelanger Vorarbeiten.  Das Projekt der Reichstag-Verhüllung etwa wurde über 34 Jahre verfolgt, bis es für kurze Zeit Realität wurde.  Christo hat wirklich das Beste aus seinem Steinbock-Aszendenten gemacht und Jeanne-Claude aus ihren Saturn-Talenten ebenso. 

Die Ehe von Sonne und Mond

Fruchtbare Partnerschaften – von Zwillingen und anderen Menschen – erinnern immer an den Archetypus der Sonne-Mond-Vereinigung.  Wir alle verdanken unser Leben der Tatsache, dass Mutter (Mond) und Vater (Sonne) zusammengekommen sind.  Bei diesem Künstlerehepaar mit identischer Mond- und Sonne-Stellung haben möglicherweise die persönlichen Mond-Gefühle ebenso harmoniert, wie die künstlerischen Ziele ihrer Sonnen. 

Als sie sich im Oktober 1958 zum ersten Mal begegneten, war die progressive Sonne ganz genau ins Trigon zum Mond getreten. Das Zeitfenster für eine Verbindung öffnete sich. 

Als sie es 1962 geschafft hatten, den behördlichen Widerstand zu brechen und zum ersten Mal eine öffentliche Großaktion inszenierten, waren sie 27 Jahre alt und der progressive Mond kehrte auf seine Ausgangsposition zurück. So erblickte das erste künstlerische Kind dieses schöpferischen Paares die Welt.  Sie bauten einen riesigen „eisernen Vorhang“ aus Ölfässern in einer Pariser Straße.  Die Anwohner tobten, die Polizei kam mit neuen Genehmigungs-Formularen angerannt. Nach ein paar Stunden musste alles geräumt werden. Doch Jeanne-Claude und Christo waren glücklich.  Sie wollten keine Ewigkeit gestalten, sie wollten etwas verändern und bewegen. - Und das gelang ihnen über fünfzig Jahre hinweg immer wieder.
Jeanne-Claude starb 2009. 
Christo am 31. Mai 2020.

Bild : Martin Dürrschnabel - Sony DSC-F717, CC BY-SA 2.5, commons.wikimedia.org/w/index.php


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