Die Waage ist nicht immer harmonisch

„Die Waage ist harmonisch und ausgeglichen“, so steht das überall, jeder glaubt das zu wissen.  - Deshalb muss es aber noch lange nicht stimmen!

Richtig ist: Die Waage braucht Harmonie.

Sie ist auf die Welt gekommen mit den allerfeinsten Antennen für Schönheit, Geschmack, Harmonie und Ausgewogenheit.  Sollte irgendwo alles ausgewogen und schön sein, so wird sie es in vollen Zügen genießen.  Da die Welt jedoch überwiegend unharmonisch ist, leidet die Waage.  Mit ihren feinen Antennen erkennt sie das Unstimmige sofort.  Ihr Auge für ausgewogene Farben ist so empfindlich, dass sie ein Zuviel oder Zuwenig sehr deutlich wahrnimmt.  Sie ist dann die erste, die dies erkennen und empfinden kann.  Sie braucht Harmonie, sie kann Harmonie schaffen.

Die Waage hat feine Ohren für Streit, Widersprüche und Aggression, auch wenn sich dies alles erst unterschwellig äußert.  Daher empfindet sie schon eine grobe Unhöflichkeit als beinahe kriegerischen Akt.  Würde die Welt auf sie hören, so könnte die Waage alle Menschen kultivieren und zur Friedfertigkeit führen.  Meist hört die Welt nicht auf sie. Dennoch bleibt die Waage hochsensibel gegen Grobheiten, sie braucht Frieden.  Daher ist sie im täglichen Verhalten oft gar nicht friedlich, sondern wird ungemütlich.  Sie verlangt von den Rüpeln mehr mitmenschliche Kultur und mehr Friedenswillen, und das ist ihr gutes Recht. Jede Begabung muss schließlich irgendwo eingesetzt werden.

Machen Sie den Test und sagen Sie zu einer im Zeichen Waage geborenen Person oder einem anderen Menschen mit einer starken Waage-Komponente einmal folgenden Satz: „Sie sind immer harmonisch und ausgewogen“.  Ich bin gespannt, welch Erfahrungen sie machen werden. -  Ich selber ernte auf diese Aussage fast immer Widerspruch.  Die Waage spürt nämlich auch in ihrem Inneren jeden kleinen Widerspruch, und wird also diesbezüglich sehr selbstkritisch sein.  Bis sie sagt, sie sei ausgeglichen, muss sie wirklich lange an sich gearbeitet haben.  Daher sagt sie: Ich wünsche mir mehr Ausgewogenheit.  Ich bräuchte mehr Harmonie.

Das ständige Abwägen „einerseits-und-andererseits“ in der Psyche der Waage ist eine große Gabe des Lebens.  Richtig angewandt verhindert sie Einseitigkeit, falsche Selbstsicherheit und Egoismus. Eine solche Haltung ermöglicht es, fremde Standpunkte zu verstehen.  Das ist in der Tat die Grundvoraussetzung für den Frieden zwischen Individuen und unter Völkern. Ohne die Fähigkeit, einen anderen Standpunkt zu verstehen, ist auch die Liebe nur ein vorübergehendes Gefühl und kein Lebensentwurf.  Ohne erkennende Einsicht in das Andersartige ist in einer Partnerbeziehung kein menschenwürdiges Miteinander möglich. Voraussetzung dazu ist die Waage-Qualität des inneren Abwägens: Was genau ist anders an dem geliebten Partner?  Könnte das Andere auch Teil von mir sein oder werden?  Zu den großen Qualitäten der Liebe gehört die Fähigkeit, etwas Fremdes zu ertragen oder anzunehmen.  Doch vorher muss es in innerem Abwägen als solches erkannt werden.  Die Integration des Fremden ist ein geistiger Akt, und die Waage ist ein geistiges Luftzeichen.

Gleichzeitig ist das innere Einerseits-und-Andererseits ein Fluch, denn die Waage selber erlebt sich oft als entscheidungsschwach.  Sie kann nicht nur abwägen, sie hat das Gefühl, sie muss alles solange abwägen, bis es zu hundert Prozent stimmt.  Und das dauert lange, denn die Waage hat so feine Antennen, dass sie es selbst dann noch als schmerzhaft disharmonisch wahrnimmt, wenn es zu achtundneunzig Prozent stimmt.  Zwei Prozent fehlen eben, und damit ist dieser Sache oder diesem Menschen nicht vollständige Gerechtigkeit widerfahren.

Fazit: Waage ist nicht von vornherein harmonisch. Waage empfindet eine innere Notwendigkeit, Harmonie und Ausgleich zu schaffen.  Wundern Sie sich also nicht, wenn eine Waage sich selbst als zerrissen und unausgewogen beschreibt!  Aber wir sollten auch wissen: Gerade die Waage hat die Fähigkeit, ein Optimum an Harmonie und Ausgewogenheit herzustellen.  Sie ist wirklich eine Friedensstifterin.  Möge sie auch in sich selber Frieden stiften und sich mit ihren unterschiedlichen inneren Anteilen friedlich versöhnen können!

Ernst Ott


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