Der Stier bekommt Besuch vom Transit-Uranus

Ernst Ott beschreibt "Uranus im Stier" und betont den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sichweise. - Die Akutalität des griechischen Mythos von Iphigenie.

 

 

Uranus im Stier
aus männlicher und weiblicher Sicht

Die Aktualität des griechischen Mythos um Iphigenie.


Männliche Stier-Werte

In der Mitte dieses barocken Gemäldes sehen wir einen Mann mit einem Opfermesser in seiner Rechten, von uns aus gesehen am äußersten linken Bildrand. Es ist König Agamemnon.

Wenn mythologische Figuren ein Horoskop hätten, wäre er vielleicht ein Stier-Geborener, denn er hängt an seinem Besitz und an seinen Privilegien, vor allem an der Jagd. Es heißt, Stiere lieben die Natur. Doch Agamemnon jagt im grünen Wald mehr als er zum Essen braucht und breitet seine vielen erlegten Hirsche nach der Jagd als stolzen Besitz vor sich aus, damit der ganze Hofstaat seine blutige Beute bewundern kann. Er jagt so oft, gern und gut, dass er eines Tages behauptet: „Ich bin der bessere Jäger als Diana, die Göttin der Jagd!“

Diana ist doppelt beleidigt: Ein Mensch will sich über die Göttin erheben und zudem verkennt er sie als Göttin der Jagd, während sie in Wirklichkeit die Beschützerin der Tiere ist.

Weibliche Stier-Werte

Diana verkörpert ebenfalls Anteile des Stier-Prinzips, und zwar die Leben spendenden weiblichen  Entsprechungen. Sie liebt die Natur und beschützt die Tiere. Als Freundin der Tiere erlaubt sie den Menschen dennoch in streng geregeltem Rahmen und zu bestimmten Zeiten, Waldtiere zu töten, um das Überleben ihrer Familien zu garantieren. Sie wacht über die Reinheit der Jagd. Stier heißt für sie: Die Fülle der Natur – weise verwendet - ernährt alle Geschöpfe gleichermaßen.

Als Diana eines Tages erfährt, dass Agamemnon gerade übers Meer in den trojanischen Krieg lossegeln will, um neue Besitztümer mit Waffen zu erobern, hält sie ihn  zurück: Plötzlich weht kein Lüftchen mehr, die Segelschiffe der Kriegsflotte können wochenlang nicht auslaufen. Alle wissen, dass dies ein Zeichen von Diana ist und den Agamemnon angeht. Doch was tut der männliche sture Stier? Er bleibt bei seinem destruktiven Vorsatz. Heutzutage würde er sagen: „Diese Diana kauf ich mir. Sie soll eine Bestechungssumme nennen. Ich zahle einen guten Preis, damit sie ihren Widerstand aufgibt“.  Doch im alten Griechenland sind die Formen des Handels mit den Göttern noch etwas anders: Er muss opfern. Der männliche Oberpriester Kalchas denkt wie sein König: „Diana will bestimmt, dass du ihr etwas Kostbares gibst. Opfere deine Tochter Iphigenie auf dem Altar der Diana, und sie wird versöhnt sein.“ Es wird nicht berichtet, wie der Vater sich dabei fühlt. Vielleicht ist er froh, dass kein Sohn sondern nur eine Tochter verlangt wird, schließlich denkt er in altgriechischen Wertsystemen.

Leben schützen

Der barocke Maler Tiepolo bildet in seinem Gemälde diesen berühmten Augenblick ab: Im Hafen von Aulis will Agamemnon die Iphigenie opfern, doch Diana erscheint über ihm, legt einen Hirschen an sein Messer und wird anschließend die Iphigenie durch die Lüfte ins schöne Land der Taurer mitnehmen, wo sie als berühmte Diana-Priesterin der Göttin und deren weiblichen Stierwerten dienen wird.

Dieses eindrückliche mythologische Bild kann jeder verstehen: Du jagst sinnlos Hirsche – jetzt töte nicht auch noch die eigene Tochter. Diana bestraft die Jagd und schützt das Leben, sie will keinen Krieg sondern Frieden. Jeder hätte diese Botschaft verstanden, außer Agamemnon der daraufhin weitermacht wie bisher. - Aber wir wollen uns nicht über die arrogante männliche Sturheit eines antiken Helden aufregen, wir haben genug moderne Beispiele dieser materialistischen und gierigen Stier-Variante. Jedenfalls ist es ein ewig gültiger Mythos über den Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Stier-Werten.

Uranus-Transit durch das Stier-Zeichen

Die Erneuerung des Wertesystems ist in den nächsten sieben Jahren ein aktuelles Thema, denn der innovative Planet Uranus bewegt sich jetzt durch das Stier-Zeichen. Die Chancen für ein Umdenken und eine Erneuerung der Werte stehen also gut. Eine Revolution der Frauen und des Weiblichen rückt in Sichtnähe.

Einige Ideen dazu lassen sich aus dem Gemälde Tiepolos aus dem achtzehnten Jahrhundert mit der (versuchten) Opferung der Iphigenie ableiten, dessen Original im Weimarer Schloss zu sehen ist. Das Gemälde zeigt die drei Hauptpersonen (zuoberst Diana, darunter Vater und Tochter) in einer genialen Bild-Diagonale aufgereiht.

Wenn wir genauer auf Agamemnons Gesicht schauen, so müssen wir annehmen, dass er ohne Hilfe der beiden Frauen nicht viel erkennen wird. Sein Blick nimmt das Erscheinen der Göttin nicht wahr; ein leichtes Staunen ist das Positivste, was man ihm zuschreiben könnte. Er ist wie versteinert in der Gegendiagonale des Gemäldes. Diese besteht sich aus dem grauen Altarstein hinter ihm; und das Opfermesser links verlängert diesen Querbalken. Agamemnon bleibt nicht nur in diesem fixen Balken, sondern auch in seinem Opferdenken gefangen. Opfern heißt für den negativen männlichen Stier: Kaufen und zahlen; ich gebe nur, um noch mehr Besitz zu erwerben.

Die beiden Frauen verkörpern die weiblichen Stier-Entsprechungen. Iphigenie könnte für den naiven vertrauensvollen Stier stehen, Diana für den Stier nach gelungenem Uranus-Transit. Beginnen wir unten im Bild: Es ist auf den ersten Blick schockierend, wie naiv, ja hingebungsvoll das Mädchen sich an die Brust seines Mörders lehnt. Wahrscheinlich denkt es so etwas Ähnliches wie: „Papa hat mich immer ernährt, er wird mir auch jetzt nichts tun.“ Darin könnten wir positiv die Stier-Qualität Sicherheit und Natürlichkeit erkennen, die Fähigkeit sich ohne Misstrauen allem hinzugeben, wie es die unschuldigen Tiere auch tun. Doch diese Iphigenie verkörpert zugleich die Schattenseite der Stier-Naivität. Sie bleibt nämlich auch dann noch bei ihrem Ernährer, wenn er ihr längst nicht mehr gut tut. Dann ist eine uranische Befreiung nötig.

Wenn wir auf die Gesichter der Frauen in dem Gemälde schauen, so bietet sich eine weitere Deutung an, nämlich, dass Iphigenie gar nicht ihrem Vater vertraut – sie weiß sehr wohl um sein Opfermesser – sondern der Göttin, die sie retten wird. Iphigenie und Diana haben denselben entspannten sinnlichen Gesichtsausdruck. Die Augen sind geöffnet, schauen aber auch in eine andere Welt. Ist es eine innere Welt oder eine geistige Ferne? Vielleicht stehen sie miteinander in einem medialen oder intuitiven Kontakt.

Der sehende Blick

Die Göttin Diana ist nicht als Naturwesen im Wald dargestellt, wie bei anderen Malern. Sie ist eine kosmische Erscheinung. Sowohl die Wolken als auch das wolkenartig fliegende Gewand zeigen sie als Göttin des Himmels. Der Sternen- und Himmelsgott Uranus ist ihr in diesem Augenblick verwandt. Man sollte auch wissen, dass die Götter des gestirnten Himmels vor der Zeit des Uranus stets weiblich waren.

Diana entführt Iphigenie anschließend durch die Lüfte. Fliegend erreicht sie eine höhere Ebene. Sie wird vom gutgläubigen Stier zu einem geistig erkennenden Stier – in der Bildsprache der Antike zu einer Priesterin. Könnte das nicht eine Empfehlung sein für die nächsten sieben Jahre mit Uranus im Zeichen Stier? Weibliche Spiritualität ohne blutige Opfer.

Wenn Stier für die Natur steht, wäre auch folgende Deutung zu erwägen: Noch geht der Mensch so mit der Natur um, dass diese leidet und beinahe den Jägern und Materialsten dieser Welt geopfert wird. Uranus als geistiger Planet könnte uns die Augen öffnen für die Seele und den Geist, der in jedem Teil der Natur lebt. Iphigeniens Entführung durch die Luft in ein neues Land ist ein aufschlussreiches Symbol: In der neuen Heimat dienen Priesterinnen der Diana, einer Göttin, welche alles Leben schützt und erhält, und die dabei keinen Unterschied zwischen Mensch, Tier und anderen Teilen der Schöpfung macht.  

Der Blick der beiden Frauen auf dem Gemälde ist aufschlussreich: Sinnlich, sinnsuchend und weitblickend. Er ist nicht materialistisch. Kein geldgieriger Mensch und kein Jäger hat so einen Blick. Vielleicht sollten wir vorerst einfach einmal diesen Blick üben, diese geistig klare aber entspannte Wahrnehmung. Uranus oder Diana mögen uns die Augen öffnen! Der blaue Himmel über dem Gemälde macht Hoffnung.

Ernst Ott


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